Wenn ich mit meinen Freundinnen, Kolleginnen oder weiblichen Familienmitgliedern über dumme Anmachsprüche oder Belästigungen (welcher Art auch immer) spreche, gibt es keine unter ihnen, die eben diese nicht bereits erfahren hat.
Da gab es zum Beispiel den einen Typen auf der Uni-Party, den ich lediglich flüchtig aus einem Seminar kannte, der mich zu späterer Stunde an die Wand drückte und versuchte, mich zu küssen. Ich musste ihn mit Gewalt wegschubsen.
Oder die Story von den zwei Jungs, die mich im Berliner Club beim Vorbeigehen zur Seite zogen und mir an den Arsch fassten. Und bevor ihr fragt: Ja, natürlich habe ich sie vom Türsteher rausschmeißen lassen.
Dann gab es noch den Mann, der über einen gemeinsamen Bekannten an meine Nummer kam und mir anzügliche Nachrichten, Bilder und schlussendlich sogar Beleidigungen schickte, nachdem ich auf seine Flirtversuche nicht eingegangen bin. Dem ich aber von Anfang an sagt, dass ich kein Interesse habe. Der mich als Schl***e betitelt hat, eben weil ich nicht mit ihm ins Bett gehen wollte (weißt du überhaupt, was dieses Wort bedeutet?). Und ja: Natürlich habe ihn blockiert. Und meinem Bekannten gesagt, dass seine Auswahl an Freunden äußerst fragwürdig ist.
Aber wisst ihr was: Das sind nur drei Geschichten, die mir auf Anhieb einfallen. Von den alltäglichen Situationen auf der Straße oder meinen Privatnachrichten auf Instagram möchte ich gar nicht anfangen. Oh kleinen Moment, da gab es übrigens auch noch die Jungs im weißen BMW, die mich nach einer Party nachts verfolgt haben – ich bin irgendwann über einen Zaun gesprungen und um mein Leben gerannt. Meine unterlegene Schwäche (ich war alleine) war ihre Stärke (sie waren zu viert).
Einer guten Freundin wurde letztens in der überfüllten U-Bahn in Berlin unter den Rock gegriffen – das muss man sich mal vorstellen. Sie ist eigentlich supertough, superklug und kann es mit jedem verbal aufnehmen. Und sie ist vor allem nie um einen Spruch verlegen. Aber das hat selbst ihr die Sprache verschlagen. Und als sie schlussendlich ihre Worte wiederfand, sind die Jungs schnell an der nächsten Haltestelle aus der Bahn gesprungen.
Was wäre, wenn es einer Frau passiert, die du kennst?
Ja, all diese Geschichten sind (mehr oder weniger) gut ausgegangen. Mir und meinen Freundinnen ist bisher nichts geschehen. Aber was wäre passiert, wenn die BMW-Jungs mich geschnappt hätten? Oder wenn meine Freundin nicht tagsüber, sondern nachts mit dem Mann alleine im Abteil gewesen wäre? Man weiß es nicht. Ich will es ehrlich gesagt auch nicht wissen. Aber diese Situationen haben unser Bewusstsein geschärft. Dass in dieser Gesellschaft gehörig was schiefläuft.
Dass es überhaupt erst zu solchen Geschichten kommen kann, ist ein Unding. Aber das sind ja alles keine Einzelfälle. Und es gibt da draußen so viele Frauen, die sich nicht zu helfen wissen. Die sich nicht trauen, den Mund aufzumachen oder sich angemessen zu wehren. Aber für all die Frauen, die sich nicht verteidigen können, müssen wir umso lauter sein. Damit sie gehört und sichtbar gemacht werden.
Und ich tu ja auch ehrlich gesagt dann immer nur so selbstbewusst: Schultern gerade und mit erhobenen Hauptes auf Pöbelmodus schalten. Äußerlich unter keinen Umständen in die Opferrolle fallen. Innerlich sieht es dabei ganz anders aus.
Und ich bin es so Leid, dass den Jungs immer gesagt wird: Stell dir doch einfach mal vor, es könnte deine Mutter, deine Schwester oder deine Freundin sein. Ich meine, muss man denn erst eine persönliche Verknüpfung ziehen, um sich nicht wie ein KOMPLETTES ARSCHLOCH zu verhalten? Was stimmt denn nicht mit den Leuten?
Die Angst vor dem Übergriff
Alleine nachts ohne mulmiges Gefühl umherzulaufen, ist mittlerweile ein Privileg geworden. Ein Privileg, welches viele Frauen in Großstädten leider nicht mehr besitzen. Ich meine, warum ist es denn so, dass ich im Club auf mein Getränk aufpassen muss, aus Angst vor K.O.-Tropfen? Es hat außerdem seinen Grund, warum ich nachts auf dem Nachhauseweg meinen Haustürschlüssel als mögliche Waffe zwischen meine Finger klemme oder ein kleines Döschen Pfefferspray griffbereit in meiner Handtasche verstaut habe. Oder dass ich mir lieber ein Taxi nehme, als zu laufen (obwohl ich es wirklich liebe, nachts durch die verschlafene Stadt zu schlendern).
Aber das kann man sich halt mittlerweile schlecht leisten – andernfalls muss man sich ja noch anhören, dass es ja auch maximal unvernünftig sei, nachts alleine als Frau durch die Stadt zu laufen. Gegenfrage an dieser Stelle: Wie viele Männer bekommen diesen Satz gedrückt? Hm, ach so?! Dachte ich mir.
An dieser Stelle nur ganz kurz: Wenn mir einer jetzt mit Flüchtlingen und der Ausländer-Keule kommt, spart euch das. Dünnes Eis – bitte direkt entfolgen. Sexuelle Belästigung kennt keine Nationalitäten, Hautfarben, macht keinen Unterschied zwischen “sozialen Schichten” oder der schulischen Laufbahn. Die gibt es nämlich leider überall.
Und für diejenigen, die es interessiert: Die Jungs, die sich bei mir daneben benommen haben, waren fast ausschließlich Deutsche aus sogenanntem “guten Hause”. Nützt halt eben auch nichts, wenn man den Charakter einer miesen, siamesischen Beutelratte hat.
Dabei gibt es so viele wundervolle Männer da draußen. Ich habe das große Glück, mit Männern aufgewachsen zu sein – oder in meinem Umfeld zu haben – die den Unterschied zwischen richtig und falsch kennen. Die vor allem ein klares “Nein” akzeptieren können, ohne sich in ihrer Männlichkeit gekränkt oder angegriffen zu fühlen. Daher weiß ich ja auch, dass es anders geht. Dass es anders gehen MUSS.
Mich hat zum Beispiel vor zwei Wochen auf der Straße jemand angesprochen und gefragt, ob ich Lust habe, mit ihm einen Kaffee trinken zu gehen. Als ich höflich verneinte, meinte er schlicht: “Schade. Aber ich hätte es bereut, nicht gefragt zu haben. Dir noch einen schönen Tag.” Wow. Warum kann der gegenseitige Umgang miteinander nicht immer so unkompliziert und respektvoll sein?
Was wir alle tun können
Ihr fragt euch an dieser Stelle jetzt sicherlich, warum ich euch das alles erzähle? Weil es wichtig für den öffentlichen Diskurs ist. Weil sich Dinge eben erst weiterentwickeln, wenn man darüber spricht. Immer und immer wieder. Bis sich etwas ändert.
Was ich mir also für die Zukunft wünsche? Dass wir alle mehr Rücksicht aufeinander nehmen. Wenn ihr jemanden seht, der belästigt wird, geht bitte dazwischen. Schaut nicht stumm zu. Denn das ist fast noch schlimmer als die Belästigung selber. Bietet eure Hilfe an. Ihr wisst nie, wem ihr so ein Trauma erspart. Ich hätte mir oft gewünscht, dass jemand da gewesen wäre. Dass jemand etwas gesagt hätte. Und ich die meisten Situationen nicht alleine hätte regeln müssen.
Es als einzelne Frau mit mehreren Männern verbal aufnehmen zu müssen, die im Zweifel auch noch alkoholisiert sind, ist schwierig. Dadurch hab ich zwar gelernt, für mich selber einzustehen, aber es war eben auf die harte Tour. Und eigentlich sollte es nicht soweit kommen müssen. Außerdem schürt es die Angst. Dabei will ich keine Angst haben. Ich weigere mich, mich in eine Ecke drücken zu lassen oder furchtsam durch die Welt zu laufen. Deswegen ist folgendes ja auch so wichtig: Wenn wir alle ein bisschen mehr aufeinander aufpassen würden, wäre diese Welt schon ein besserer Ort. Man kann vielleicht nicht immer stark sein, aber man kann zumindest immer versuchen, mutig zu sein.
Vermittelt da draußen doch bitte das Gefühl, dass das Gute immer noch präsent – und vor allem existent ist. Dass wir aufeinander Acht geben. Uns gegenseitig schützen. Es gibt doch eigentlich nichts Wichtigeres.
Vielleicht kann man so nicht die ganze Welt verändern, aber auf jeden Fall die Welt um sich herum. Und damit sollte man doch eigentlich als Erstes anfangen. Jetzt. Eigentlich am besten bereits gestern schon.
Passt auf euch auf.